Der Stadtrat will mehr bezahlbare Wohnungen. Beim Neugasse-Projekt ist die SBB der Stadt entgegengekommen. Ganz zufrieden ist die SP nicht.
Die SBB planen an der Neugasse im Zürcher Industriequartier eine Überbauung mit verschiedenen Wohntypen. Dabei haben sich die Stadt und die SBB auf einen bemerkenswerten Deal eingelassen. Sie bauen mehr kostengünstige Wohnungen als ursprünglich vorgesehen. Ein Drittel sollen gemeinnützig sein, ein Drittel zur Kostenmiete und ein Drittel zum Marktpreis. Doch das Projekt zeigt exemplarisch den Konflikt zwischen Immobilieninvestoren und dem links-grünen Zürich auf.
Beim ersten Neugass-Entwurf der SBB kritisierte der Stadtrat dieses Projekt, weil damals noch zu wenig gemeinnützige Wohnungen vorgesehen waren. Gemeinnützige Wohnungen bieten Wohnraum von einer Genossenschaft, so dass die Wohnungen günstiger sind als auf dem Markt. So ist gewährleistet, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht aus der Stadt vertrieben werden aufgrund zu hoher Mietpreise und eine gesunde Balance und Durchmischung verschiedener Bevölkerungsgruppen gibt. Die Stadt hat sich deshalb das Ziel gesetzt, bis 2030 einen Drittel aller Wohnungen in der Stadt Zürich gemeinnützig anzubieten.
Bis 2030 sollen ein Drittel aller Wohnungen gemeinnützig sein.
Die SBB verteidigt ihre Position. Andrea Hagn-Ziegert, Senior Gesamtprojektleiterin bei SBB-Immobilien, erklärt, dass die SBB schweizweit einen Drittel ihrer Wohnungen im preisgünstigen Segment anbietet. Das allerdings reicht Oliver Heimgartner, Präsident der SP Stadt Zürich, im Fall der SBB, die ein Grundstück von mehr vier Fussballfeldern mitten in der Stadt umbauen will, noch nicht. Aktuell seien nur 26 Prozent Wohnungen in der Stadt Zürich bezahlbar für Bürger mit geringeren Einkommen. Um das von der Stimmbevölkerung beschlossene «Drittelsziel» in der Stadt Zürich zu erreichen, müssten bei neuen Arealen insgesamt deutlich mehr als ein Drittel gemeinnützige Wohnungen, also auch von der SBB an der Neugasse, neu realisiert werden.
Wer sich ein bisschen auf dem Immobilienmarkt in Zürich auskennt, der weiss, dass die Preise Jahr für Jahr gestiegen sind, sowohl für Miet- als auch für Eigentumswohnungen. Vor allem, weil viele Immobilienkonzerne Wohnungen anbieten und daraus Gewinn erwirtschaften. Oliver Heimgartner will das ändern. «Die Immobilienpreise steigen im langjährigen Durchschnitt pro Jahr um zirka 1.5 Prozent.» Er sagt weiter: «Es kann mit der aktuellen Entwicklung auf dem Immobilienmarkt dazu kommen, dass jede zweite Wohnung in der Stadt Zürich bis 2050 im Besitz eines Immobilienkonzerns ist.» Die Privatinvestoren seien sich nicht bewusst, was sie mit ihrer Bepreisung anstellen. Die SP will diesen Trend stoppen, dazu soll die Neugasse einen Beitrag leisten.
Der Konzern führt eine sehr gewinnorientierte Immobilienpolitik und verlangt viel zu hohe Mieten.
Die SBB sind mittlerweile die zweitgrössten Immobilienanbieter der Schweiz. Auch sie würden leider zu wenig dazu beitragen, das von der Bevölkerung vorgegebene Ziel zu erreichen, sagt Oliver Heimgartner. Der Konzern führe eine sehr gewinnorientierte Immobilienpolitik und verlange viel zu hohe Mieten. An der Europaallee sehe man, dass die SBB langfristig andere Ziele verfolgten. So seien die Wohnungen im mittleren Preissegment an der Neugasse zeitlich auf wenige Jahre limitiert. Danach könnten die Wohnungen zu regulären Marktpreisen vermietet werden. Somit können die zwei Drittel der Wohnungen auf dem Areal sehr schnell sehr teuer werden.
Demgegenüber betont Andrea Hagn-Ziegert im Interview im Westlink, dass neben einem Drittel an gemeinnützigen Wohnungen auf dem Areal Neugasse zusätzlich ein weiteres Drittel im preisgünstigen Segment angeboten werden soll. Denn das Areal solle bewusst auch langfristig unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ansprechen.
Oliver Heimgartner ist anderer Meinung. Im Interview sagt er, die Theorie des Konjunkturzyklus funktioniere nicht bei den Immobilien, denn es gebe kein Anzeichen darauf, dass sich die Preise von allein wieder korrigieren würden. Die SP merke, dass der Bevölkerung der Stadt Zürich das Thema wichtig ist. Die Initiative «mehr bezahlbare Wohnungen» habe bereits 8000 Unterschriften von der Bevölkerung erhalten. Auch bei der Neugasse kam eine Initiative 2018 zustande, dass die Stadt das Neugasse-Areal aufkaufen sollte und darauf alle Wohnungen zur Kostenmiete anbietet.
Die Neugasse verleitet zum Eindruck, Immobilienkonzerne und die links-grüne Stadt hätten sich angenähert. Doch der Eindruck täuscht. Die SP stehe aktuell nicht in Kontakt mit Immobilienkonzernen, sagt Heimgartner mit ironischem Unterton. «Gespräche sind immer wichtig. Aber ich sehe keinen gemeinsamen Nenner in so einer Verhandlung. Die SP will möglichst viele bezahlbare Wohnungen, die Immobilienkonzerne eine möglichst hohe Rendite.»