Bührle, eine nie endende Debatte

in Tagesanzeiger Regional von

Seit der Eröff­nung des Erweiterungsan­baus des Kun­sthaus Zürich ste­ht ein The­ma im Zen­trum: Die Bührle Samm­lung. Kri­tisiert von allen Seit­en, aber warum?

Ein Knabe mit leerem Blick, gek­lei­det in ein­er ele­gan­ten, roten Weste, welche sein blass­es Gesicht her­vorhebt, fest­ge­hal­ten in Öl auf ein­er Lein­wand, ist das erste, was ich im neuen Saal im Kun­sthaus im zweit­en Stock wahrnehme. Leicht nach vorne gebückt, stützt der Junge sich auf seinen Ellen­bo­gen, wobei der Kopf in sein­er Hand ruht. Sein grösseres recht­es Ohr und sein langer rechter Arm stechen schnell ins Auge. Die Szener­ie erin­nert an ein gelang­weiltes Kind, das sehn­süchtig darauf wartet, aus dieser Ein­tönigkeit befre­it zu werden. 

Auch wenn es keine aussergewöhn­liche, nein fast schon eine alltägliche Pose ist, ver­spüre ich ein Gefühl der Melan­cholie. Alles um mich, die vie­len Besuch­er, ver­s­tum­men; nur er bleibt. «Der Knabe mit der roten Weste», eines der bekan­ntesten Werke aus der Bührle-Samm­lung, 180 Mil­lio­nen Franken wert, 2008 gestohlen und erst vier Jahre später wieder aufgetaucht.

Foto: Lau­ra Kühn, Neubau Kun­sthaus Zürich

Zuvor kon­nten die Kunst­werke in der Stiftung Samm­lung E.G. Bührle bestaunt wer­den, seit Okto­ber 2021 wer­den nun gut 200 Exponate dieser Samm­lung im Neubau des Kun­sthaus Zürich aus­gestellt. Darunter solche von welt­bekan­nten Kün­stlern wie Claude Mon­et, Picas­so oder Vin­cent van Gogh. Mir kommt bei dieser Menge an wertvollen Kunst­werken ein Gedanke: «Wie kann ein Mann allein so viele kost­spielige Meis­ter­w­erke finanzieren?» 

Profiteur des Krieges

Emil Bührle, ein gebür­tiger Deutsch­er, erlangte den Grossteil seines Reich­tums durch Waf­fen­han­del mit Nation­al­sozial­is­ten während des zweit­en Weltkriegs. Er prof­i­tierte zudem als Samm­ler davon, dass Juden ihre Kunst­werke zur Finanzierung ihrer Flucht verkaufen mussten. Von 91 Werken ist die Herkun­ft lück­en­haft und unklar. Trotz­dem beze­ich­net die Bührle Stiftung diese in ihrem Bericht als Kun­st­ge­gen­stände «ohne Hin­weis auf prob­lema­tis­che Zusam­men­hänge», was die Debat­te über die Samm­lung immer weit­ertreibt. Und während Bührles Kollek­tion immer weit­er­wuchs, wurde er von der Stadt und dem Kun­sthaus als Wohltäter gefeiert. Mit seinen mil­lio­nen­schw­eren Kunst­werken beschenk­te er sie und liess das Kun­sthaus in die Top-Liga der Museen auf­steigen. Weshalb die Krö­nung der Eröff­nung des neuen Anbaus des Zürcher Kun­sthaus­es die ein­drucksvolle Bührle-Samm­lung war. 

Nun ist es in meinen Augen nicht über­raschend, dass das Kun­sthaus und die Stiftung auf viel Kri­tik von His­torik­ern und Jour­nal­is­ten traf. Eine Ausstel­lung zu Ehren eines Mannes, der sich auf Kosten ander­er bere­ichert, ist mein­er Mei­n­ung nach nicht vertret­bar. Der Aus­lös­er der gewalti­gen Empörung ist jedoch, dass bei der Erforschung des his­torischen Kon­textes der Werke Vertreter und Vertreterin­nen der Stadt, der Kun­st­ge­sellschaft und der Bührle-Stiftung einge­set­zt wur­den. Dementsprechend stellt sich die Frage wie ver­trauenswürdig die ver­mit­tel­ten Infor­ma­tio­nen über die Ausstel­lung­spro­duk­te sind, da sie leicht verän­dert hät­ten wer­den kön­nen, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt. 

Im neuen Ver­trag ist nun aber fest­ge­hal­ten, auf welche Stan­dard-Richtlin­ien man sich bei der Herkun­fts­forschung verpflicht­en will. Für die Öffentlichkeit ist es näm­lich essen­ziell, diese Infor­ma­tion zu ken­nen, wenn die Prove­nien­z­forschung nochmals unab­hängig über­prüft wird: Es kann nun darüber disku­tiert wer­den, ob diese Richtlin­ien aus­re­ichend sind — oder ob sie durch andere erset­zt und ergänzt wer­den müssten. Wie die Bührle-Stiftung aber mit Ansprüchen von Erben umge­ht, deren Fam­i­lien während der Nazi-Zeit fliehen mussten — und die möglicher­weise Bilder an Bührle verkauften, ist jedoch noch unsich­er. Wird die Bührle-Stiftung auf diese Forderun­gen einge­hen? Let­ztlich han­delt es sich hier um moralis­che Fra­gen, nicht juris­tis­che, da rechtlich alle Ansprüche ver­fall­en sind. 

Emil Bührle zur Zeit sein­er Ankun­ft in der Schweiz 1924, Samm­lung Emil Bührle

Bührle wird beschönigt

Die Ausstel­lung bietet nicht nur Gemälde und Fig­uren, son­dern ver­fügt auch über einen Doku­men­ta­tion­sraum zu Bührles Biografie. Zu meinem Erstaunen war der Raum bei meinem Besuch aber wie aus­gestor­ben. Im Gegen­satz zu den anderen Räum­lichkeit­en strahlte er eine gewisse Kälte aus und wirk­te lieb­los gemacht. Ich war vol­lkom­men alleine mit den Tex­ten, und das obwohl dieser Saal der einzige mit aus­führlichen Infor­ma­tio­nen zur Entste­hung der Samm­lung ist. Doch beim Lesen fie­len mir schnell gewisse Lück­en auf: ich fand fast keine Angaben zu dieser umstrit­te­nen Debat­te. Sie umfassen zwar grob Bührles Geschäfts- und Sam­meltätigkeit, und enthal­ten auch kri­tis­che Aspek­te, aber sind ver­harm­lost und lassen das heikel­ste The­ma weg – die Prove­nien­zrecherche. Der Stiftung zufolge sind näm­lich keine heiklen Bilder in der Samm­lung vorhan­den. Doch das Fehlen an voll­ständi­gen Infor­ma­tio­nen und Beschöni­gen von Bührles Hand­lun­gen finde ich moralisch nicht kor­rekt. Die Bührle-Samm­lung ist so in meinen Augen ein gutes Beispiel dafür, wie wir damit umge­hen, dass die Schweiz in die Geschichte des Nazi-Regimes ver­strickt ist – man ver­harm­lost und vertuscht.

Nun  ist die Kri­tik an der Samm­lung für mich so auch dur­chaus berechtigt. Die Stadt Zürich als wichtig­ste Sub­ven­tion­s­ge­berin des Kun­sthaus­es — wie auch die Bührle-Stiftung und das Kun­sthaus — hätte sich­er früher reagieren kön­nen. Man hätte der Kon­fronta­tion nicht so lange wie möglich auswe­ichen und die Angele­gen­heit herun­ter­spie­len sollen. Vor allem von der Bührle-Stiftung hätte ich mir auch eine grössere Sen­si­bil­ität erhofft. Man hätte der Geschichte mehr auf den Grund gehen sollen, auch weil die Per­son Emil Bührle und seine Samm­lung  schon seit Jahrzehn­ten umstrit­ten sind. 

Die Schönheit der Kunst

Jedoch schwinden all diese Gedanken, als ich eines mein­er Lieblings­gemälde erblicke: «Das Mohn­blu­men­feld bei Vétheuil» von Claude Mon­et. Ein Zusam­men­spiel aus einem Meer viel­er roten Mohn­blu­men und ein­er in Blautö­nen getauchte Land­schaft. Ein Gemälde, das mich schon immer faszinierte. Die Blu­men strahlen eine Gebor­gen­heit und Wärme aus, während der Hin­ter­grund im Gegen­satz dazu unnah­bar scheint. Es erin­nert mich an ein typ­is­ches Feriendör­fchen, in dem es  an son­ni­gen Tagen nur so von Touris­ten wimmelt. 

Claude Mon­et
Mohn­blu­men­feld bei Vétheuil
um 1879, Samm­lung Emil Bührle

Bilder wie dieses gibt es hier viele; Bilder, die einen tief berühren und auf eine Reise mit­nehmen. In dieser Hin­sicht hat­te Emil Bührle einen guten Geschmack und ist auch bewun­dern­swert, das muss ich zugeben. Aber nur weil die aus­gestell­ten Werke schön anzuschauen sind, darf man nicht den prob­lema­tis­chen Hin­ter­grund vergessen. 

Die Debatte soll weitergehen

Ein kalter Wind bläst mir ins Gesicht. Ins­ge­samt zwei Stun­den ver­brachte ich in der Ausstel­lung; meine Gedanken und Gefüh­le bilden ein kom­plettes Chaos. Zum einen war es eine der schön­sten und umfan­gre­ich­sten Gale­rien zu franzö­sis­ch­er Malerei, die ich je besucht habe. Auf der anderen Seite kam mir bei jedem einzel­nen Ausstel­lungsstück Bührles Ver­gan­gen­heit in den Sinn. Zu wis­sen, dass ein Mann durch das Leid ander­er zu solchem Ein­fluss in der Kun­st­ge­sellschaft und zu einem der reich­sten Män­ner der Schweiz wurde, ist ekel­er­re­gend. Ich finde aber keineswegs, dass die Samm­lung «ver­nichtet» wer­den oder nicht mehr zugänglich sein soll. Aber ich würde mir mehr und bessere Auskun­ft wün­schen; woher die Bilder stam­men, soll kein unaus­ge­sproch­enes The­ma sein. Deshalb halte ich es für sehr wichtig, dass die Debat­te weit­erge­führt wird. Und so begleit­et mich eine Mis­chung aus Staunen und Abnei­gung auf dem Weg nach Hause. 

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