Was Zürcher Jungpolitiker politisiert hat
Die Zürcher Politik wird linker, der Gemeinderat jünger. Zwei neue linke Jungpolitiker wollen der Jugend im Parlament eine Stimme geben, ein erfahrener junger Bürgerlicher spielt den Wert des Alters herunter.
Bewegungen wie die weltweiten Klimastreiks, die monatlichen Velodemos, die antifaschistischen Demonstrationen oder feministische Streiks, an welchen zu einem grossen Teil Jugendliche teilnehmen, spielen unumstritten eine immer wichtiger werdende Rolle in der Politik. Weil der Fokus der Bewegungen meist auf Gesellschaftsthemen liegt, profitieren vor allem die linken Parteien. Sie haben Zulauf von jungen Politikerinnen, wie auch etwa das Beispiel von Anna Graff zeigt.
Die ungelösten Probleme treiben sie an
Die 23-jährige SP-Politikerin Anna Graff ist nach den Neuwahlen ins Stadtzürcher Parlament die jüngste Frau, die ab Mai im Gemeinderat sitzt. Dennoch ist sie in der Politik bereits ein «alter Hase».
Als 13-jährige Gymnasiastin tritt sie, auf Grund von ihrem grossen Interesse an der Politik, der Juso (Jungpartei der SP) bei und engagiert sich aktiv für verschiedenste Projekte und Initiativen der Jungpartei. Ihr Bewusstsein für die unzähligen ungelösten Probleme auf der Welt, die Ungleichheiten wie beispielsweise die immer grösser werdenden Spaltungen zwischen Arm und Reich sowie für den Klimawandel bewegen Graff dazu, aktiv etwas zu verändern. Mit der 2013 lancierten Volksinitiative «1:12 — für gerechte Löhne» beschäftigt sich Anna Graff besonders. Seit ihrem Beitritt in die SP fokussiert sie vor allem auf Themenbereiche wie die Gleichstellung, eine gerechte Verteilung von Macht und Wohlstand, die Umwelt- und Klimapolitik und engagiert sich unter anderem für die Velorouten-Initiative und deren Umsetzung.
Er will Krisen bewältigen
Noch jünger ist Yves Henz. Der 18-jährige Gymnasiast vertritt ab Mai die Grünen im Zürcher Gemeinderat. Ihn bewegen vor allem Themen wie die durch Untätigkeit immer gravierender werdende Klima- und Biodiversitätskrisen, welche beispielsweise Folgen für unsere Nahrungsmittelversorgung haben. Hoffnung, dass es auch anders sein kann, dass sich die Politik ins Bessere entwickeln kann und der Wunsch selber an dieser Entwicklung beteiligt zu sein, brachten den Jugendlichen in die Politik. Der «unmenschliche Kapitalismus», von welchem nur die wenigsten wirklich profitieren können, sollte überwunden werden. Aus seiner Sicht sollte man stattdessen eine «ökologische Ordnung des Respekts, der Freiheit und des Glücks schaffen — für alle Menschen dieser Welt».
Im Zentrum seiner Politik steht vor allem das «Wohlbefinden aller Menschen, auch zukünftiger Generationen». Das Glück jedes Individuums könnte laut Henz durch eine gerechte, demokratische Gesellschaft, in welcher alle das gleiche Mitbestimmungsrecht haben, erreicht werden. Das Wohnrecht sollte als Grundrecht für alle anerkannt werden und die Gentrifizierung müsse sofort gestoppt werden. Um die Lebensqualität und sozialen Kontakte zu stärken, besonders jetzt nach den Lockerungen der Massnahmen, könnten etwa aus seiner Sicht die Arbeitszeiten verkürzt werden.
Gestützt durch gesellschaftliche Bewegungen
Die letzten bundesweiten Abstimmungen von Mitte Februar waren für beide Kandidaten zu grossen Teilen ein «linker Triumpf». Als zweite Initiative der Linken, wurde die Initiative: Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung (Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung)» an der Urne angenommen. Die Annahme sei sehr erfreulich und könnte durch die Popularität der Thematik begründet werden. Auch die Abstimmung über die Änderung des Bundesgesetzes über die Stempelabgaben sei ein Erfolg, denn das Volk hatte sich mit einem überraschend deutlichen Nein gegen die «Selbstbedienung der Reichsten» ausgesprochen.
Beide Kandidaten finden, dass Bewegungen, wie beispielsweise die bereits erwähnten Klimastreiks, sowie weitere Demonstrationen wie der feministische Streik, die BLM Bewegung und weitere Organisationen, die sich für Klimagerechtigkeit, Frieden und eine gerechtere, Inklusive Gesellschaft einsetzen, essenziell für den notwendigen Fortschritt in der Politik seien. Yves Henz sagt: «Menschen wollen eine andere Politik! Auf der ganzen Welt schliessen sich Menschen zusammen und fordern Veränderung.»
Kritik am zögerlichen Verhalten der Rechten
Sie kritisieren beide die «radikalen Untätigkeit» der bürgerlichen Parteien vor allem im Zusammenhang mit der Klimakrise. Kleine Schritte benötigten zu viel Zeit, Zeit welche proportional zu ihrer Gewichtung, anders investiert werden sollte.
Die Umsetzung eines grösseren Zieles, wie beispielweise ein klimaneutrales Zürich bis 2040 zu erreichen, dürfe nicht an kleinen Schritten scheitern. Die Starrheit des Systems müsse gelockert werden, denn Politik kann auch anders sein. Yves Henz erwähnt in diesem Zusammenhang das neoliberale Dogma: «There is no alternative», welche den Menschen vorzugaukeln versuche, dass es keine Alternative zum jetzigen System gebe. Anna Graff erwähnt das teilweise fehlende Interesse «der Mächtigen» an der Information der Bevölkerung. «Wenn die Menschen sehen würden, dass die Politik, wie sie im Moment funktioniert, für den grössten Teil der Menschen schlecht ist, würde es sich für den Profit der «Mächtigen» als ein Problem herausstellen.»
Doch die SVP ist im Gemeinderat nicht mehr so stark wie auch schon. Ihr Anteil bei Neuwahlen ist vom Jahr 2002 von 24.8 Prozent auf einen Anteil von 11.2 Prozent 2022 gesunken.«Die bürgerlichen Parteien verteidigen die alten, ungerechten, patriarchalen Strukturen, obwohl sie uns direkt ins Verderben führen. Wofür? Aus Gier, Eigennutz oder Dummheit. Da ist es logisch, dass die Zürcher Jugend den Lügen der Bürgerlichen nicht länger Glauben schenkt», sagt Yves Henz. Trotz einem sinkenden Wähleranteil der SVP in der Stadt Zürich, bleibt die Partei schweizweit aktuell die wählerstärkste. Die linken Parteien wachsen jedoch auch schweizweit stetig.
Die Sicht eines Bürgerlichen
Als bürgerliche Politiker aktiv, aber dennoch jung ist der 34-jährige Stefan Urech. In seiner Partei sind Junge etwas rarer. Obwohl es auch jüngere Mitglieder in der Partei und in der Jungen SVP gibt, haben sie es im Gegensatz zu gleichaltrigen Kandidaten und Kandidatinnen der Linken bei den Gemeinderatswahlen schwerer, Wählerstimmen zu erhalten. Gründe für dieses Phänomen sieht Urech in den eher links eingestellten Wähler und Wählerinnen der Stadt Zürich. Zudem beschäftigten sich junge Wählerinnen und Wähler häufig mit Themenbereichen wie der Klimapolitik, welche von linken Kandidaten und Parteien vertreten und umgesetzt werden. Und zuletzt seien junge SVP-Kandidaten und Kandidatinnen beim Werben im Wahlkampf auf der Strasse wegen ihrer Haltung auch schon kritisiert und beschimpft worden.
Grundsätzlich befürwortet Stefan Urech, dass aktuell vermehrt junge Menschen in die Politik einsteigen. Er sieht aber keinen Unterschied in der Qualität des politischen Engagements in Zusammenhang mit dem Alter der Politikerinnen und Politiker. Seiner Ansicht nach ist weder das Alter noch die Zugehörigkeit, sondern primär die politische Einstellung und die Bereitschaft, einen grossen zeitlichen Aufwand zu investieren, entscheidend. Vor allem bei jungen Politikern und Politikerinnen brauche es Mut, um im Wahlkampf zu bestehen und für die eigenen Ideen einzustehen.
Sie fühlen sich ernst genommen
Anna Graff und Yves Henz fühlen sich trotz ihres jugendlichen Alters als Politiker ernst genommen. Dies sei jedoch laut Graff von Person zu Person unterschiedlich. Teilweise sei es für Frauen schwierig, gehört zu werden und auch die jüngsten Politikerinnen und Politiker hätten häufig einen nicht ganz einfachen Einstieg.
Doch etwas stellen beide fest: Die Politisierung der Menschen, primär der Jugendlichen, steigt. Sie beschäftigen sich stärker mit der Politik, um ein gerechtes System der gesellschaftlichen Organisation zu schaffen. Dies betrifft nicht nur die institutionelle Politik, sondern auch die Infragestellung der aktuellen Machtverhältnisse. Die Jugendbewegungen haben gezeigt, dass die Jungen mit ihrer progressiven Haltung etwas erreichen können. Junge Politikerinnen und Politiker wie Anna Graff und Yves Henz werden gewählt, weil sie die Stimme der Jugend vertreten. Nun versuchen sie im Parlament, die Wünsche der Jugend umzusetzen.